Flüssigkeitsmanagement bei schweren Brandverletzungen

Individualisierung durch frühes erweitertes hämodynamisches Monitoring

 

BG Klinikum Unfallkrankenhaus Berlin

26.08.2024

M. Kruse, K.E. Liesenborghs, D. Josuttis, P. Plettig et al.

doi: 10.1177/08850666231224388

 

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Was bisher bekannt ist

Nach einem Verbrennungstrauma ist die frühe, bedarfsadaptierte Volumentherapie der Schlüssel zu einer suffizienten Organfunktion in der Schockphase. Die präklinische Versorgung ist aufwendig, und Transportzeiten und -wege in Verbrennungszentren sind oftmals lang. Dies führt dazu, dass Verletzte die Klinik in verschiedenen Stadien des Verbrennungsschocks erreichen. Im Rahmen der Standardversorgung erfolgt eine Individualisierung der Volumen- und Katecholamingabe jedoch frühestens bei Eintreffen auf der Intensivstation nach chirurgischer Erstversorgung im Verbrennungsbad. Ab diesem Zeitpunkt wird die Therapie formelbasiert abhängig von der Verbrennungsfläche und Kreislaufsituation angepasst. Aus bisherigen Untersuchungen ist bekannt, dass sowohl die ausgeprägten Flüssigkeitsverschiebungen und Proteinverluste ins Gewebe als auch die Verringerung der kardialen Pumpfunktion direkt nach dem Verbrennungstrauma einsetzen und der Schock mit Kreislaufdepression und Hypovolämie bei Ankunft der Betroffenen in der Rettungstelle bereits sein Vollbild erreicht. In dieser Untersuchung wurde der Frage nachgegangen, ob eine frühzeitige Erfassung des Volumenbedarfs mithilfe eines zusätzlichen erweiterten hämodynamischen Monitorings vor Beginn der Erstversorgung bis 24 Stunden nach Trauma eine individualisierte Schocktherapie ermöglicht, welche das Risiko für ein Organversagen reduzieren könnte.

Studiendesign und Resultate

In eine Kohortenstudie wurden prospektiv 19 Brandverletzte ≥18 Jahre (13 Männer, 6 Frauen, mittleres Alter 55 ±18 Jahre) mit ≥20 % verbrannter Körperoberfläche (total burn surface area, TBSA, 36 ± 19 %) eingeschlossen. Die Studienpopulation erhielt direkt nach Eintreffen im Schockraum des Brandverletztenzentrums ein erweitertes hämodynamisches Monitoring (PulsioFlex ProAQT®, Getinge AB). Die Steuerung der Therapie erfolgte nach Standardparametern (Herzfrequenz, Blutdruck, Diurese, Base Excess [BE], Lactat), ergänzt um die Parameter der Pulskonturanalyse. 
Aus einer retrospektiven Kontrollkohorte wurden im 1:3 Verhältnis 57 Verletzte (41 Männer, 16 Frauen, mittleres Alter 51 ± 17 Jahre, mittlere TBSA 40 ± 19 %) gematcht, welche lediglich das Standardmonitoring unterliefen. 
Gemessen wurden die infundierte Volumenmenge über 24 Stunden sowie die Inzidenz eines Organversagens (insbesondere pulmonale Komplikationen wie ARDS) in den ersten 72 Stunden im Vergleich zur Kontrollgruppe. Das erweiterte hämodynamische Monitoring war mit einer Restriktion der intravenösen Flüssigkeitsgabe nach 6 und 12 Stunden assoziiert (1,7 versus 2,3, Mittelwertdifferenz [MWD] 0,6, 95 % Konfidenzintervall [KI] 0,5 – 0,7, Effektstärke d = 1,6, und 2,3 versus 3,0, MWD 0,7 (95 % KI 0,5 – 0,9, d = 1,5). Der Noradrenalinbedarf nach 18 Stunden war in der Interventionsgruppe erhöht (0,20 versus 0,08, MWD 0,12, 95 % KI 0,09 – 0,15 µg / kg / min, d = 1,8). In der Studiengruppe wurde im Vergleich zu Kontrollkohorte kein ARDS beobachtet (0 versus 12, Risikodifferenz 12 %, 95 % KI 10 – 32 %, Number needed to treat, NNT ~8). Es bestand kein Unterschied in der Gesamtsterblichkeit zwischen erweitertem hämodynamischem und Standard-Monitoring.

Bedeutung für die klinische Versorgung und Forschung in den BG Kliniken

Die Inzidenz von schweren Brandverletzungen mit einer TBSA von mehr als 20 % hat in den letzten Jahrzehnten durch präventive Maßnahmen abgenommen. Trotz deutlich verbesserter intensiv¬medizinischer Möglichkeiten ist die Letalität der Betroffenen jedoch nach wie vor hoch und eine probate Versorgung muss in spezialisierten Verbrennungszentren erfolgen. Ein verletzungsadaptiertes personalisiertes Flüssigkeitsmanagement ist essenziell und lebensrettend – das historisch verbriefte ungezielte Überangebot kristalliner Flüssigkeit hat sich als kontraproduktiv erwiesen. Die frühzeitige Abschätzung des tatsächlichen Volumenbedarfs und der hämodynamischen Kapazität im Verlauf eines Verbrennungstraumas könnte das Management individualisieren und das Risiko für inflammatorisch getriggerte Organschäden, insbesondere jedoch ein Lungenversagen (ARDS) reduzieren. Die beobachteten Resultate müssen multizentrisch, im Idealfall experimentell, bestätigt werden.