Vorhersage unerwünschter Ereignisse bei Stabilisierung subaxialer HWK-Frakturen

Bedeutung der AOSpine Clinical Modifier und Facettengelenk-Instabilität

 

BG Klinik Ludwigshafen

26.11.2024

P. Raisch, J. Pflästerer, M. Kreinest, S.Y. Vetter et al.

DOI: 10.1007/s00068-024-02458-2

 

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Was bisher bekannt ist

Frakturen der Halswirbelsäule (HWS) stellen seltene, jedoch schwerwiegende Traumafolgen dar. Jüngere Daten aus Norwegen legen eine weltweite altersadjustierte Inzidenz von 10 / 100.000 Personenjahre nahe. In Deutschland wurden gemäß Statistischem Bundesamt im Jahr 2022 5100 Betroffene mit der Hauptdiagnose einer HWS-Fraktur aus der stationären Krankenhausbehandlung entlassen. Die Häufigkeit bei Polytraumatisierten schwankt zwischen 2 und 6 %, wobei der zunehmende frühe Einsatz der hochauflösenden Ganzkörper-Computertomografie zu einer Erhöhung der Detektionsrate und damit auch einer Verschiebung der Epidemiologie beiträgt.

Aus der engen Beziehung zwischen knöchernen, diskoligamentären und zentralnervösen Strukturen resultiert ein hohes Risiko für unfallbedingte (insb. neurologische) Komplikationen, aber auch schweren unerwünschten Ereignissen (SUE) in Folge einer operativen Intervention. Letztere werden international über die Clavien-Dindo-Klassiifikation abgebildet (Grad I: Abweichung vom normalen postoperativen Verlauf, Grad II: Pharmakologische Therapie und / oder parenterale Ernährung sowie Bluttransfusionen, Grad III: Notwendigkeit chirurgischer, endoskopischer oder radiologischer Interventionen, Grad IV: Lebensbedrohliche Ereignisse, welche eine intensivmedizinische Behandlung erfordern, Grad V: Tod).

Das AO Spine Subaxial Injury Classification System stratifiziert HWS-Verletzungen zwischen den Bewegungssegmenten HWK 2 / 3 und HWK 7 / BWK 1 anhand von Kompression, Längsbandrupturen und Translation (A0 – 4 / B1 – 3 / C), neurologischer Defizite (N0 – 4) sowie Fraktur-bedingter Instabilität der Facettengelenke (F1 – 4). Zusätzlich wurden sog. klinische Modifikatoren vorgeschlagen, welche klinische Konstellationen beschreiben die wiederum Behandlungsentscheidungen beeinflussen könn(t)en (M1 – 4).

Ziel dieser Untersuchung war es, die Assoziation zwischen demografischen und verletzungsbedingten Variablen und der Wahrscheinlichkeit für SUE in diesem Szenario zu beschreiben.

Studiendesign und Resultate

In der BG Klinik Ludwigshafen wurden zwischen 2010 und 2020 396 Patientinnen und Patienten mit knöchernen und / oder diskoligamentären Verletzungen der subaxialen Halswirbelsäule behandelt. Ausgeschlossen wurden 35 Verletzte mit isolierter Instabilität im Bewegungssegment HWK 2 / 3, 21 mit fehlender präoperativer CT-Bildgebung und weitere 21, welche in einer anderen Klinik operiert wurden. Von den verbliebenen 319 Verletzten wurden 12 verlegt, 15 verstarben innerhalb von zwei Wochen.

Die analysierte Stichprobe von 292 Patientinnen und Patienten umfasste 217 Männer und 75 Frauen mit einem mittleren Alter von 58 (SD 20) Jahren. Von diesen boten 123 (42 %) einen ISS ≥24. Nahezu jeder / jede Fünfte erhielt Thrombozyteninhibitoren oder Direkte Antikoagulantien (DOAK), jede / jeder Achte bot eine vorbestehende Wirbelsäulenpathologie. AO Typ A, B und C Verletzungen lagen bei 17 (6 %), 135 (46 %) und 140 (48 %) der Teilnehmenden vor, inkomplette und komplette Lähmungen bei 65 (22 %) und 40 (14 %). In fast jedem dritten Fall mussten Facettengelenk-Instabilitäten unterschiedlichen Schweregrades und / oder AOSpine Clinical Modifiers berücksichtigt werden.

Nach einer medianen Nachbeobachtungsdauer von 95 (Spanne, 6 – 1923) Tagen wurde in 49 Fällen wenigstens ein SUE festgestellt (Inzidenz 17 %, 95 % Konfidenzintervall [KI] 13 – 22 %). Hierbei erlitten 42 Patientinnen und Patienten ein Grad-III-, weitere sieben ein Grad-IV-SUE.

In der multivariaten logistischen Regressionsanalyse erwiesen sich Alter, das Vorhandensein eines AOSpine Clinical Modifier und eine Facettengelenk-Instabilität als unabhängige Einflussgrößen auf das Risiko für ein SUE. Das Modell wurde für eine Therapie mit Thrombozyteninhibitoren wie ASS und Direkten Antikoagulantien adjustiert, lieferte mit einer Fläche unter der Receiver-Operating-Characteristics Kurve von 68,6 % jedoch keine ausreichende Diskriminationsfähigkeit.

Bedeutung für die klinische Versorgung und Forschung in den BG Kliniken

Frakturen der Halswirbelsäule sind aufgrund anatomischer Besonderheiten mit einem hohen Risiko für neurologische Komplikationen vergesellschaftet. Operative Eingriffe in dieser diffizilen Region dienen der Abwendung von Unfallfolgen, sind aber mit chirurgischen SUE verknüpft. Für eine partizipative Entscheidungsfindung und evtl. spätere (rechtliche) Abwägung zwischen unfall- und interventionsbedingten Konsequenzen ist es unabdingbar, unabhängige Variablen zu identifizieren, welche die Wahrscheinlichkeit für SUE bedingen könnten. In dieser unizentrischen Untersuchung erwiesen sich Alter, AO-Modifiers und eine Facettengelenk-Instabilität als mögliche Indikatoren – ohne jedoch ein klinisch verlässliches Vorhersagemodell generieren zu können. Zur besseren Prädiktion von SUE nach operativer Stabilisierung subaxialer HWS-Verletzungen bedarf es multizentrischer Daten mit höherer Granularität.