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Affenpocken Virus (Monkeypox)

Affenpocken (Monkeypox)

Infektiologischer Steckbrief 05/2022

Redaktion: 
Prof. Dr. med. Dirk Stengel, MSc 
Priv.-Doz. Dr. med. Berthold Hoppe
Dr. rer. nat. Jörg Brüggmann
Prof. Dr. med. Thomas Stamminger
Prof. Dr. med. Steffen Wirth
Janine Bierwirth
Daniela Schnorbus
Eike Jeske

  • Erreger: Doppelsträngiges DNA-Virus der Gattung Orthopoxvirus
  • Erstmalige Beschreibung: 1958 in Makaken
  • Erstmaliger Erkrankungsfall beim Menschen: 1970, Republik Kongo
  • Wesentliches Vorkommen: Zentral- und Westafrika

In aller Kürze

Das Affenpocken-Virus gehört zur Familie der Pockenviren- diese weisen biologische Besonderheiten in ihrem Reproduktionszyklus innerhalb infizierter Zellen auf und sind so groß, dass sie im Lichtmikroskop erkannt werden können. Die sog. echten, hoch-infektiösen und häufig tödlich laufenden Pocken (Variola vera oder major) gelten aufgrund weltweiter Impfkampagnen seit 1979 als ausgerottet. Bei den Affenpocken handelt es sich um eine sog. Zoonose, welche wechselseitig zwischen Tieren und Menschen durch Austausch von Körperflüssigkeiten über Wunden und Schleimhäute übertragen werden kann. Nach einer etwa dreitägigen Prodromalphase mit Fieber, Schüttelfrost, Kopf- und Gliederschmerzen und geschwollenen Lymphknoten kann es zu einem begrenzten oder alle Körperregionen betreffenden Hautausschlag bis hin zur Bildung von eitrigen Pusteln kommen. Die Erkrankungsdauer beträgt etwa drei Wochen. 
Es existieren zwei Stämme des Affenpockenvirus- der westafrikanische Stamm ist mit milderen Krankheitsverläufen und einer Sterblichkeit von 4%, der zentralafrikanische Stamm mit schweren Krankheitsverläufen und einer Sterblichkeit von bis zu 10% assoziiert.1 In verschiedenen Industrieländern außerhalb Afrikas wurden in den letzten Jahrzehnten Ausbrüche mit vorwiegend mildem Krankheitsverlauf beobachtet.

Bisherige Ausbrüche außerhalb Afrikas (Auszug)

  1. In den USA traten zwischen Mai und Juli 2003 47 Fälle von Affenpocken auf. Diese wurden auf Kratz- und Bissverletzungen durch Präriehunde zurückgeführt, welche zusammen mit aus Westafrika importierten exotischen Haustieren gehalten wurden. Eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung konnte nicht bestätigt werden.2 Betroffen waren 25 Frauen und 22 Männer, von denen 39 (83%) Symptome der Atemwege, 14 (30%) des Verdauungstraktes und 30 (64%) ausgeprägte allgemeine Krankheitszeichen aufwiesen. Zwölf (40%) Erkrankte boten Fieber ≥39,4°C, 14 (31%) wurden stationär behandelt. 22 (55%), 13 (33%) und 7 (12%) zeigten ≤25, 26 bis 100 und >100 Hautläsionen. Die Inkubationszeit wurde auf knapp zwei Wochen geschätzt. Todesfälle waren nicht zu verzeichnen.
  2. In Großbritannien wurden zwischen 2018 und 2021 sieben Affenpockenfälle registriert, von denen vier auf einen vorangegangenen Aufenthalt in Nigeria zurückgeführt wurden.3 Alle Betroffenen waren durchschnittlich 26 (Spanne, 10 bis 39) Tage in stationärer Behandlung und erholten sich vollständig.

Aktuelle epidemiologische Situation

In Europa wurden im Rahmen eines multinationalen Ausbruchs seit dem 04.05.2022 durch das European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) (https://www.ecdc.europa.eu/en/news-events/epidemiological-update-monkeypox-multi-country-outbreak) bis zum 25.05.2022 118 Affenpocken-Fälle registriert- davon 51 in Spanien und 37 in Portugal. Großbritannien meldete bis zu diesem Zeitpunkt 71 Fälle- nach aktuellen Angaben (https://www.gov.uk/government/news/monkeypox-cases-confirmed-in-england-latest-updates) stieg die Zahl bis zum 30.05.2022 auf 179. Während der britische Indexpatient aus Nigeria zurückkehrte, konnten die Übertragungswege aller weiteren Fälle nicht eindeutig nachvollzogen werden- insb. hatten sich die Betroffenen nicht in Afrika aufgehalten.1
Die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) berichten über 15 aktuelle Fälle in verschiedenen Bundesstaaten der USA (https://www.cdc.gov/poxvirus/monkeypox/response/2022/index.html). 
In Deutschland wurden nach Angaben des Robert Koch Instituts bisher 33 Fälle bestätigt (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/A/Affenpocken/Ausbruch-2022-Situation-Deutschland.html;jsessionid=2431C3FBF2E37C7769223BDFA93327E8.internet102?nn=2386228).

Nach derzeitigem Kenntnisstand sind die im europäischen Raum gehäuft aufgetretenen Erkrankungen bis auf den genannten britischen Einzelfall nicht auf vorherige Reisen nach Afrika zurückzuführen- die wahrscheinlichsten Übertragungswege werden derzeit untersucht und berücksichtigen auch sexuelle Kontakte. Die Genotypisierung der europäischen Fälle legt das Auftreten der weniger gefährlichen westafrikanischen Variante nahe.

Prophylaktische und therapeutische Maßnahmen

Es gibt Hinweise, dass die in den alten Bundesländern bis 1976, in den neuen Bundesländern bis 1982 verpflichtende Pocken-Lebendimpfung auch eine Schutzwirkung gegen Affenpocken besitzt. Das allgemeine Ansteckungsrisiko in der Bevölkerung wird aufgrund der noch geringen Fallzahl durch alle Instanzen bisher als niedrig eingeschätzt. Es gelten die für alle Viruserkrankungen sinnvollen persönlichen Vorbeugungsregeln- Vermeidung des engen Kontakts zu Infizierten oder Austausch von Körperflüssigkeiten, Händedesinfektion usw. Im klinischen Kontext scheinen die etablierten hygienischen Standards bei meldepflichtigen übertragbaren Erkrankungen ausreichend zu sein.

Der antivirale Wirkstoff Tecovirimat (Siga Human BioArmor, NY, USA) hemmt die Bildung der Hülle von Orthopoxviren und die Freisetzung von Viren aus infizierten Zellen. Die Substanz wurde zur Biokampfstoffabwehr entwickelt und in den USA und Europa zur Therapie der Pocken zugelassen- bisher aber nur in einem einzigen Fall therapeutisch appliziert.4 Tecovirimat stellt in Form von 200 mg Kapseln den einzigen in der EU zugelassenen Wirkstoff gegen Affenpocken dar.
Mit Brincidofovir steht ein weiteres potenziell wirksames, experimentelles Virostatikum zur Verfügung.5 Die Substanz wurde während der großen Ebola-Epidemie zwischen 2014 und 2016 in Westafrika in einer Notfallzulassung der FDA und der WHO eingesetzt. 

Zu beiden Wirkstoffen liegen aufgrund der bisherigen Seltenheit der Erkrankung keine Daten aus Placebo-kontrollierten, randomisierten Studien zur Wirksamkeit und dem Nebenwirkungsprofil in der Therapie von Affenpocken vor. Auch ist ihre Verfügbarkeit begrenzt.

Zusätzlich zu Virustatika können Immunglobuline gegen das nur schwach pathogene Vaccinia-Virus (der grundlegenden Komponente von Pockenimpfstoffen) verabreicht werden.6 

Erkrankte müssen über drei Wochen, insb. bis zur vollständigen Abheilung der infektiösen Hautläsionen isoliert werden.

Bedeutung für die BG Kliniken

Mit Stand 31.05.2022 wurden Affenpocken von nationalen und internationalen Expert(inn)en und führenden Seuchenschutzorganisationen derzeit nicht als Erkrankung mit Pandemie-Potenzial eingestuft. Der aktuelle Ausbruch in Europa und den USA überschreitet jedoch alle bisherigen außerhalb Afrikas und ist virologisch und epidemiologisch aufgrund der zumeist unbekannten Übertragungswege besorgniserregend. Eine strenge Surveillance ist unerlässlich. 

Für die BG Kliniken ergibt sich aktuell noch kein spezifischer Handlungsbedarf. Wir werden die Infektionsdynamik engmaschig beobachten, Veröffentlichungen des RKI und ECDC sowie die wissenschaftliche Literatur sichten und Sie bei Bedarf weiterhin informieren. Insb. für BG Kliniken mit allgemeinem regionalen Versorgungsauftrag und einem hohen Anteil von Rettungsstellenfällen mit Fieber, allgemeinen Krankheitssymptomen und Hautausschlag (Berlin, Bochum) sollten Affenpocken als Differenzialdiagnose berücksichtigt werden.

Literatur

  1. Dye C, Kraemer MUG. Investigating the monkeypox outbreak. BMJ 2022;377:o1314. 
  2. Reynolds MG, Yorita KL, Kuehnert MJ, et al. Clinical Manifestations of Human Monkeypox Influenced by Route of Infection. J Infect Dis 2006;194(6):773-80.
  3. Adler H, Gould S, Hine P, et al. Clinical features and management of human monkeypox: a retrospective observational study in the UK. Lancet Infect Dis 2022 doi: 10.1016/S1473-3099(22)00228-6 [published Online First: 2022/05/28]
  4. Grosenbach DW, Honeychurch K, Rose EA, et al. Oral Tecovirimat for the Treatment of Smallpox. N Engl J Med 2018;379(1):44-53. 
  5. Chan-Tack K, Harrington P, Bensman T, et al. Benefit-risk assessment for brincidofovir for the treatment of smallpox: U.S. Food and Drug Administration's Evaluation. Antiviral Res 2021;195:105182.
  6. Wittek R. Vaccinia immune globulin: current policies, preparedness, and product safety and efficacy. Int J Infect Dis 2006;10(3):193-201.